Buchgespräch im Deutschlandfunk

Am 29. Januar 2024 konnte ich über mein Buch “Pulverfass Balkan. Wie Diktaturen Einfluss in Europa nehmen“ im Deutschlandfunk mit Carin Stövesand reden. Das Gespräch ist hier verfügbar:

Das Ende von FYROM

Folgender Text wurde unter dem Titel “Es ist vollbracht: Nordmazedonien” am 25.1.2019 in Der Presse eröffentlicht

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Am Freitag ist das Wort “Jugoslawien” als Staatsnamen Geschichte geworden. Auch wenn das Land selbst seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr besteht, gab es noch die “Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.” Die Republik Mazedonien konnte nur unter diesem Namen 1995 den Vereinten Nationen beitreten. 28 Jahre stritt Griechenland dem Land den Namen ab, so dass es international oftmals diesen sperrigen Namen tragen musste.

Am Freitag hat das griechische Parlament die letzte Hürde überwunden, damit das Land nun Republik Nord Mazedonien heißen kann. Eine knappe Mehrheit von 153 von 300 Abgeordneten stimmte am Ende für das Abkommen. Im Vorfeld haben sich mehrere Parteien gespalten. Die rechts-populistische  Partei ANEL verließ die Regierung  wegen des Abkommens mit Mazedonien, doch einige Minister und Abgeordnete blieben Tsipras treu. Auch die liberale Oppositionspartei To Potami zerfiel über die Namensfrage. Die konservative Oppositionspartei Nea Demokratia lehnt das Abkommen offiziell ab, hinter vorgehaltener Hand jedoch ist die Partei und ihr Vorsitzender, Kyriakos Mitsotakis, jedoch erleichtert, dass die Namensfrage abgehakt ist. Nachdem die Partei damit rechnet die bevorstehende Parlamentswahlen zu gewinnen, will sie nicht  die ungelöste Namensfrage erben.

Im Juni letzten Jahres hatten der griechische Premier Tsipras und der mazedonische Premier Zaev am Grenzsee Prespa ein Abkommen unterzeichnet, dass den Namensstreit beilegt. Die komplexe und nicht ganz leichte Ratifizierung zeigt, wie schwierig es ist den Ballast des Streits abzulegen. Nationalisten in Griechenland demonstrierten zu zehntausenden im letzten Jahr und erneut vor wenigen Tagen gegen das Abkommen. Für sie ist ein Ausverkauf nationaler Identität. Auch kommt die Frustration mit dem Sparprogramm der Regierung und dem Druck der EU in diesen Protesten zum Ausdruck. Die Nationalisten in Makedonien machten ähnlichen Druck. Hier waren die Demonstration weniger gut besucht, stattdessen blieb ein beratendes Referendum über die Namensänderung aufgrund zu niedriger Wahlbeteiligung ungültig. Die notwendige zwei Drittelmehrheit im Parlament kam nur knapp zusammen. Die ehemalige Regierungspartei VMRO-DPMNE lehnte den Kompromiss strikt ab,  ist aber so tief in Korruption und Machtmissbrauch verwickelt, dass einige Abgeordnete doch zustimmten, in der Hoffnung damit ihre Chancen auf Straffreiheit zu erhöhen.

Für Mazedonien ist der Preis höher, das Land musste die Verfassung ändern um sich einen neune Namen zu geben, während die Albanischen Abgeordneten auch Zugeständnisse einforderten, so wurde Albanische die zweite Staatssprache. Dafür sind auch die Vorteile größer.

Vor kurzem meinte eine hochrangige Regierungsvertreterin im Gespräch, dass mit dem neuen Namen Nord Mazedonien das Land jedenfalls eine Mitgliedschaft im Nordischen Rat ansuchen solle. Auch wenn in Nord Mazedonien nicht skandinavische Verhältnisse einkehren werden, ist die Mitgliedschaft in NATO und der EU die wichtigste Motivation einen Kompromiss einzugehen.  Mit dem neuen Name wird Griechenland sein Veto gegen die mazedonische Mitgliedschaft  aufgeben. Die Einladung zur NATO steht bereits und ein Beitritt ist dieses oder nächstes Jahr realistisch. Auch der EU Beitritt soll voran kommen, Mazedonien wurde gemeinsam mit Albanien in Aussicht gestellt, dass es im Juni 2019 mit Beitrittsverhandlungen rechnen kann.

Die Ratifizierung des Prespa Abkommens ist nicht nur ein positives Signal für Mazedonien, sondern auch eine Ermutigen für die anderen Staaten des Westbalkans bilaterale Konflikte zu lösen. Der positive Domino-Effekt kann jedoch nur gelingen, wenn die EU und NATO nun die Lösung belohnen.

 

Tourismusboom in Dalmatien mit Schattenseiten

 Veröffentlicht in Der Presse, 11.8.2017

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Die Bilder der Warntafeln gingen um die Welt: Vor wenigen Wochen stellte die Stadt Hvar an der Dalmatinischen Küste Schilder auf, die Touristen unter dem Motto „Spare Geld und genieße Hvar“ warnten, unter einer Strafandrohung zwischen 500 und 700 Euro, nicht in Bikinis durch die Stadt zu gehen, Alkohol auf öffentlichen Plätzen zu trinken oder wild zu übernachten.

Als auf Hvar vor fast 150 Jahren 1869 der Heilsverein von Lesina die ersten Touristen begrüßte, erließ die Stadtverwaltung auch Verhaltensregeln. Die Verbote richteten sich jedoch nicht gegen die Besucher – man hoffte auf die Elite der Habsburger Monarchie als Winterkurgäste –, sondern an die ortsansässige Bevölkerung. Sie wurde angehalten, keinen Lärm zu verursachen und die Straßen sauber zu halten.

Kroatische Medien berichten diesen Sommer fast täglich von betrunkenen Besuchern, die auf die Straßen urinieren, Körperteile exponieren und auch sonst nicht gerade zum Bild einer beschaulichen dalmatinischen Hafenstadt passen. Sie entsprechen auch nicht dem Image als Luxusdestination, das Hvar lieber gewinnen will.

 

Überflutetes Dubrovnik

Kroatien erlebt zur Zeit einen Tourismusboom, ausgelöst durch die Krisen in der Türkei und anderen beliebten Zielorten am Mittelmeer sowie durch Serien wie „Game of Thrones“. Allein in der ersten Jahreshälfte 2017 ist die Zahl der Touristen im Vergleich zum Vorjahr um über 20 Prozent gestiegen. Neue Luxushotels und Villen für Segel- und Jachttouristen und Hostels für junge Besucher sind die Konsequenz. Dieser Boom schafft Spannungen. Die Altstadt von Dubrovnik wird von Tausenden Kreuzfahrttouristen überflutet, so dass die Tore in der Hochsaison geschlossen werden müssen. Die Altstadt entvölkert sich. Dem Gedränge möchte sich kaum ein Stadtbewohner aussetzen.

Ärger über Konzessionen

Es brodelt überall in Dalmatien. Die Warntafeln am Eingang in die Innenstadt sind auch eine Warnung an die Regierung in Zagreb. Viele Bewohner der Touristengemeinden auf den Inseln und an der Küste sind unzufrieden mit der Entwicklung. Bei Lokalwahlen im Frühjahr gewannen unabhängige Bürgermeister in zahlreichen Gemeinden. Gleichzeitig kommen in der „Bewegung der Inseln“ erstmals Aktivisten zahlreicher Inseln zusammen und engagieren sich für eine nachhaltige Entwicklung.

Der Unmut richtet sich besonders gegen die Konzession für Strände. Auch wenn alle Strände öffentlich zugänglich sein müssen, versuchen die Konzessionäre, den Zugang nur zahlenden Gästen zu ermöglichen, die Liegen und Sonnenschirmen zu hohen Preisen mieten müssen.

Es wird nicht einfach sein, den Tourismusboom in eine konstruktive und nachhaltige Richtung zu lenken. Die neuen politischen und sozialen Bewegungen zeigen, das die Bevölkerung den Tourismus nicht mehr als Schicksal hinnimmt, sondern mitbestimmen will. Wenn das gelingt, ist es sowohl gut für den Tourismus als auch für die dalmatinische Küste und die Inseln, die trotz Tourismus in der Vergangenheit von Abwanderung und Perspektivlosigkeit geprägt waren.

 

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 12.08.2017)

Orbans Kampagne gegen CEU

veröffentlicht in Der Falter, 19.4.2017

 

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Die Vertreibung ist für die Central European University (CEU) nichts Neues. Nur fünf Jahre nach ihrer Gründung mit drei Standorten in Warschau, Prag und Budapest musste sie 1996 die tschechische Republik verlassen. Der damalige tschechische Ministerpräsident Vaclav Klaus die Universität aus Prag verbannt. Was damals mehr wie ein persönlicher Konflikt zwischen Klaus und George Soros, Miliardär und Universitätsgründer, erschien zeichnete die Entwicklung vor. Klaus sollte sich zu einem euroskeptischen rechtsnationalen Politiker entwickeln, der heute sowohl die Politik der FPÖ, als auch Viktor Orbans lobt. Damals war die Universität noch in Ungarn willkommen. Soros war und blieb jedoch eine Schreckgespenst für nationalistische Politiker in Osteuropa. Seine jüdische Herkunft und sein finanzieller Erfolg machten ihn zu einem idealen antisemitischen Feindbild. Zudem machte seine Unterstützung für Zivilgesellschaft und soziale schwache Gruppen, wie Roma, ihn zum Gegner für Anhänger autoritärer und staatsgläubiger Rechte und Linke in der Region. Von Miloševićs Serbien bis zu Putins Russland war er immer wieder das Inbild des liberalen, subversiven Westens.  Absolventen der CEU wurden immer wieder Schikanen ausgesetzt: Mal wurden ihre Diplome nicht anerkannt, mal wurde ihnen andere bürokratische Hindernisse in den Weg gelegt. Auch Neid spielt mit hinein. Die Universität arbeitet mit einer Ausstattung und auf einem Weltklasse-Niveau, mit dem kaum eine Unis im post-kommunistischen Europa mithalten konnte.  Die Person Soros, die liberale, kritisch-hinterfragende Ausbildung und die Bedrohung hierarchischer Bildungsstrukturen machte die CEU zu einem beliebten Feindbild.

Auch nach Viktor Orbans Machtübernahme 2010 schien CEU in Budapest sicher, während er langsam, aber zielsicher die liberale Demokratie in Ungarn demontiert. Die Universität wirkt in erster Linie über die Grenzen Ungarns hinweg. Aus einer Universität für Studenten aus dem post-kommunistischen Europa war längst eine internationale Institution mit Studenten aus über 100 Ländern geworden. Studenten aus Ungarn sind nur eine kleine Minderheit der rund 1.500 Studenten. Diese stellen selbst mit der besten Phantasie kaum eine Bedrohung für Orban und sein national-konservatives Ungarn dar. Auch wenn an der Universität immer wieder auch Kritik zu Regierung Orbans geäußert wurde, hielt sie sich mit einer direkten Konfrontation zurück.

Der 8. November 2016 war der Wetterwechsel, der die Konfrontation zwischen Orban und CEU einleitete. Bis dahin konnte sich die Uni, die sowohl in Ungarn, als auch in den USA registriert ist, amerikanischer Rückdeckung sicher sein. Einen Eingriff in die Universität war für die USA eine “red line”, die Orban nicht überqueren durfte. frei. Mit der Wahl von Trump, der ähnlich wie Orban in seinen politischen Gegnern Feinde sieht, für internationale Kooperation Zusammenarbeit nur Spott übrig hat,  schien die Zeit für Orban gekommen, gegen CEU vorzugehen.

Auch wenn das “Lex CEU” scheinbar unerwartet Ende März von der Regierung in nur einer Woche durchgepeitscht wurde, lag es in der Luft, dass Orban den Macht- und Paradigmenwechsel in den USA als Anlass nehmen würde, gegen CEU vorzugehen.

Was Orban und seine Partei bewegte im Eilverfahren binnen einer Woche per Gesetzesänderung die Arbeit der CEU unmöglich zu machen kann nur spekuliert werden. Alle offiziellen Gründe, von der Behauptung, dass es sich nur um eine formale Änderung handelt, bis hin zu Angriffen auf die Universität als betrügerisch wiedersprachen einander und waren kaum glaubwürdig. Tatsächlich ist CEU Opfer Orbans national-konservativer Politik, die jegliche “Einmischung” von Außen ablehnt. Nicht zuletzt die suggestive Volksbefragung “Stoppt Brüssel” zeigt, dass neben Soros auch die EU Ziel seiner Politik ist. Bisher hat Orban es geschafft im Land zu regieren, wie man es von rechts-nationalistischen Parteien, wie der Front Nationale in Frankreich erwarten würde, ohne auf zu viele Kritik und Ausgrenzung durch die EU, andere Staaten und auch die europäische Volkspartei (EVP) zu stoßen. Gerade die EVP, der konservative Parteien aus der EU, so auch die ÖVP, angehören, hat sich immer wieder aus machtpolitischen Gründen vor einen offenen Abgrenzung von Orban geziert. Somit konnte Orban in Ungarn sehr viel weiter gehen, als Kaczyńskis Partei “Recht und Gerechtigkeit” (PiS) in Polen, die nicht der EVP angehört.

Das Lex CEU könnte jedoch eine Kehrtwende bedeuten. Erstmals kritisiert die EU Führung, sowie auch führende Mitglieder der EVP die Entscheidung offen und kaum eine andere repressive Entscheidung der Regierung seit 2010 hat so viel internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie den Versuch CEU zu schließen. Die wird kaum Ausreichen, die Macht Orbans in Ungarn zu brechen, für ungarische Wähler ist die CEU unwichtig, aber der Konflikt kann ihm wichtige internationale Rückendeckung kosten.

CEU wird nicht schließen. So viel hat der Rektor Michael Igantieff, ein angesehener kanadischer Intellektueller, erklärt. Gerade heute schient Budapest der ideale Ort zu sein, die Mission der Universität zu erfüllen. Orban hat durch das Gesetz der Universität ihre Daseinsberechtigung bestätigt und sie aus der Defensive geholt. Nie zuvor hat die CEU soviel internationale Aufmerksamkeit erhalten, und nie zuvor war ihre Bedeutung so sichtbar wie in den letzten Wochen.

Ob die Universität auch nach der Unterzeichnung des Gesetzes durch den ungarischen Präsidenten Adler dazu in der Lage sein wird, ist unklar. Die Angebote von zahlreichen Städten, so auch Wien, die CEU beherbergen zu wollen sind großzügige Gesten der Unterstützung gewesen, doch letztlich ist die Universität dort am besten aufgehoben, wo sie unbequem ist.

Die Aleksandar Vučić Show in der Krise

Vucic inauguration Photo by Anadolu

Man würde glauben, so sieht ein Sieger aus: Aleksander Vučić hat seit 2012 vier Wahlen gewonnen. 2012 wurde seine Fortschrittspartei stärkste Kraft er tritt in die Regierung ein, zwei Jahre später wird er Ministerpräsident, dann 2016 erneut wiedergewählt und nun am 2. April in der ersten Runde zum Präsidenten Serbiens gewählt. Sein überwältigenden Sieg mit 55,02 Prozent der Stimme machte eine 2. Runde überflüssig. Einen solchen klaren Sieg gelang das letzte Mal vor 25 Jahren, Mitten im Bosnienkrieg 1992, damals siegte Slobodan Milošević gegen den gemäßigten Oppositionskandidaten Milan Panić. Der größte Wahlerfolg Vučićs stellt sich jedoch als seine größte Krise heraus. Seit Tagen ziehen Tausende durch Serbiens Städte um gegen den Wahlsieg zu protestieren. Die Zahl ist noch nicht groß, doch die Demonstranten zeigen ein Beharrungsvermögen, obwohl sie in den regierungsnahen Medien todgeschwiegen werden.  Es gab im letzten Jahr bereits Proteste gegen den illegalen Abriss von Häusern im Belgrader Savamala Bezirk, doch die jüngsten Demonstrationen sind die Ersten, die spontan und durch Serbien gegen die Dominanz Vučićs protestieren und seinen Rücktritt fordern. Als Ministerpräsident, zukünftiger Präsident und Vorsitzender der größten Partei des Landes, laufen alle Fäden bei ihm zusammen. Sein Kontrollwahn ist legendär und innerhalb seiner Partei und Regierung hat er systematisch alle Konkurrenten ausgeschaltet. Sein größter innerparteilicher Widersacher war Tomislav Nikolić, der bisherige Präsident, der unter Druck Vučićs nicht nochmals antrat. Sein größter Konkurrent in der Regierung ist Außenminister Ivica Dačić, Vorsitzender der Sozialisten (SPS), der unerwartet und wohl auch auf Vučićs Druck hin nicht bei den Wahlen antrat.

Die Dominanz Vučićs ist auch Ausdruck seiner Schwäche: Er wurde weniger Präsidentschaftskandidat, weil er Erdoğan oder Putin nacheifert ein Präsidialregime zu etablieren, sondern da ihm eine Alternative fehlte. In seiner Partei kann niemand so souverän die Wahlen gewinnen wie er. Seine Partei hat nun etwa so viele Mitglieder für die Kommunisten in ihren besten Zeiten und 2016 errang sie einen Sieg, von dem selbst Slobodan Miloševićs Partei nur träumen konnte. Doch alles häng von ihm ab. Seine Parteigänger sind loyal, aber selten kompetent und noch seltener beliebt. Keiner von ihnen hätte die Präsidentenwahl so klar gewinnen können. Staat, Regierung und Partei werden somit zu einer Vučić-Einmannshow.

Seine Übermacht wurde wenige Tage vor den Wahlen überdeutlich, als die Titelseiten aller Tageszeitungen von einer ANzeige für Vučić überdeckt wurden. So zeigt man Macht. Nur die liberale und kleine Qualitätszeitung Danas blieb ohne Vučić–und findet sich nun unter starkem finanziellen Druck nachdem viele Anzeigenkunden unerwartet gekündigt haben. Im heutigen Serbien ist es schwer Vučić zum umgehen, er blickt nicht nur von den Titelseiten der Zeitungen, er ist im Fernsehen, Radio und Internet omnipräsent und mit der Ausnahme von kleinen unabhängigen Internet-Portalen immer nur im besten Licht präsentiert. In den wichtigsten Fernsehsendern bekam er mehr Aufmerksamkeit als alle Oppositionskandidaten zusammen.

Diese Dominanz Vučić wird von der EU gerne übersehen. Bereits am 3. April schickten Kommissionspräsident Juncker und EU Präsident Tusk eine öffentliche Gratulation an Vučić und nannten seinen Sieg ein Vetrauensvotum für den europäischen Weg. Kritik an dem Abbau demokratischer Rechte, die eingeschränkte Meinungsfreiheit und Dominanz Vučićs konnte man bestenfalls zwischen den Zeilen lesen. Nur wenige Tage vor den Wahlen wurde Vučić in Berlin und Moskau empfangen und so konnte er sich mit Bildern mit Merkel und Putin im Wahlkampf schmücken. Auch wenn er sich von Merkel sicher Kritik hinter verschlossenen Türen anhören musste, so konnte er sich an der Öffentlichkeit weiter als Garant für Stabilität und Reformen präsentieren.

Nicht nur Serbien entwickelt sich Zunehmens zum autoritären System. Neben dem EU Staat Ungarn, herrschen in anderen Balkanstaaten starke Männer, die sich nur wenig um demokratische Prinzipen scheren: Von Nikola Gruevski in Makedonien, bis zu Milo Djukanović in Montenegro–beide nicht mehr Ministerpräsidenten–versuchen jedoch weiterhin die Geschicke der Länder zu lenken. Von Milorad Dodik in der serbischen Teilrepublik Bosniens zu Hashim Thaçi, dem Präsidenten des Kosovo, die Region ist bestimmt von starken Männern, die wenig Interesse an demokratischen Institutionen, Medienfreiheit und Reformen haben, sondern in erster Linie um die eigene Macht. Anders als Orban oder  Erdoğan haben sie sich keiner Ideologie verschrieben, sondern nur Machtwillen. Somit können sie sich jederzeit als EU-willige Reformer präsentieren, und gleichzeitig diese Reformen durch informelle Machtstrukturen untergraben.  Die EU hat somit auf dem Balkan unsichere Schönwetter-Partner, je schwächer die Perspektive auf Mitgliedschaft ist,  desto mehr werden Vučić und co. von Reformen abrücken.

Als vor 20 Jahren Zehntausende monatelang in Serbien gegen Milošević demonstrierten, so war seine Macht noch nicht gebrochen, noch sollte drei Jahre Serbien in den Kosovo Krieg und weiteres Leid führen, doch sein Bann war gebrochen und er konnte seine Macht nur mit zunehmend autoritären Mitteln erhalten. Die Proteste seit den Wahlen in Serbien, zeigen, dass Vučić trotz seiner Übermacht in Medien und Parlament, und Unterstützung durch die EU, nicht allmächtig ist. Die größte Gefahr besteht nun darin, dass die EU sich dem falschen Partner verschrieben hat und die Demonstranten die Union als Teil des Problems, nicht der Lösung für die Demokratisierung des Balkans sehen.

Gefangen in der Ethno-Falle

(Veröffentlicht in der Kleinen Zeitung, 1.3.2017)

 

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Glitzernde neue Einkaufszentren in Sarajevo ersetzen die Ruinen des Krieges. Es scheint als ob alle paar Monate ein neuer Konsumtempel die Pforten öffnet. Die Läden in den luxuriösen Passagen mit futuristischen Fassaden sind die gleichen wie in Zagreb, Belgrad oder Graz. Auf der Oberfläche scheint es Bosnien besser zu gehen. Die Kriegsfolgen am Stadtbild, nicht nur in Sarajevo, werden jedes Jahr unsichtbarer. Doch sobald man den Fernseher einschaltet, kommt der Krieg zurück. Bilder von Zerstörung, von Kriegsverbrechern, Beschuldigen sind allgegenwärtig: der Kampf um die Erinnerung an den Krieg, und die neuen Bedrohungen durch die Anderen übertönt den Dialog. Die Einkaufszentren Sarajevos und die Kriegsgerede der Medien, sie sind die beiden Facetten oder besser Fassaden Bosniens heute.

Vor einem Vierteljahrhundert, am 29. Februar und 1. März 1992 stimmten 99.7% der Bürger Bosniens für die Loslösung von Jugoslawien. Das Referendum war für die Europäische Gemeinschaft die Bedingung um Bosnien anzuerkennen.

Doch das Votum hatte einen schwerwiegenden Schönheitsfehler: Die Wahlbeteiligung lag bei 63,4%. Die Mehrheit der Serben boykottierte die Abstimmung auf Anweisung der Serbischen Demokratischen Partei. Diese hatte bereits Monate vorher, im November 1991, ein Referendum für einen Verbleib bei Jugoslawien organisiert zu dem nur Serben zugelassen wurden.

Die beiden Referenden war der Auftakt zum Krieg: Viele Serben wollten bei dem geschrumpften Jugoslawien verbleiben, die meisten Muslime und Kroaten wollte sich nicht der serbischen Dominanz unter der Ägide von Slobodan Milošević unterordnen. Die nationalistischen Parteien des Landes interpretierte diese Kluft als Grund einen Krieg zu riskieren, begonnen wurde er einen Monat nach dem Referendum im April 1992 durch die serbische Führung mit Unterstützung Belgrads.

Heute,  nach einem Krieg mit mehr als 100,000 Toten und 2 Millionen Vertriebenen und mehr als zwei Jahrzehnter labilen Friedens ist erneut die Rede von Referenden. Im September 2016 stimmten sagenhafte 99,81% (Wahlbeteiligung 55,77%) der Bürger in der serbische dominierten Entität, der Republika Srpska, für ihren „Nationalfeiertag“ und gegen eine Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichtshofes. Milorad Dodik, der unumstritten Machthaber in der Republika Srpska, droht dass dieses Votum nur die Generalproblem für ein Referendum über die Loslösung von Bosnien ist. Wie bereits 1991-2 dienen Referenden nur dazu, die Pläne der politischen Eliten zu ratifizieren. Die Mehrheit ist ihm genauso gewiss, so wie das Gewaltpotential, die eine solche Entscheidung mit sich bringt.

Gemeinsam in der Ethno-Falle

Bosnien scheint sich im Kreis zu drehen, gefangen in der Ethno-Falle. Heute gibt es keine nennenswerte Partei, die in ihrem Programm oder Wählerschaft wirklich Bürger verschiedener ethnischer Herkunft ansprechen kann. Es gibt keine gesamtbosnischen Medien, außer einigen Internetportalen. In den Schulen lernen Kinder einander nicht kennen, stattdessen lernen sie drei unterschiedliche Nationalgeschichten, die sich ausschließen.

Vor 25 Jahren lebten die meisten Serben, Kroaten und Muslime (heute Bosniaken genannt), sowie Jugoslawen, gemeinsam. Mit wenigen Ausnahmen waren alltägliche Kontakte, Freundschaften und Beziehungen über ethnische Grenzen hinweg normal und wurden meist auch nicht als „interethnisch“ wahrgenommen. Heute sieht es anders aus. Viele haben zwar keine Berührungsängste, aber es gibt schlicht kaum Gelegenheiten einander kennenzulernen. Mord und Massenvertreibungen während des Krieges wirken bis heute nach. Somit sind die Gräben heute tiefer als vor einem Vierteljahrhundert. Anders als damals fehlen jedoch der Wille und die Mittel zum Krieg.

Der Frieden von Dayton, der nach 3 1/2 Jahren den Krieg beendete war die Quadratur des Kreises. Bosnien konnte weiterbestehen, die Flüchtlinge durften zurückkehren. Gleichzeitig erkannte der Friedensvertrag die ethnischen Säuberungen an und schuf einen verschachtelten Staat, in dem die Blockade vorprogrammiert ist. In ihm wurde die Trennung zementiert.

Der komplizierte Staat mit seinen 14 Regierungen und über hundert Ministern ist jedoch nicht die Ursache der bosnischen Malaise, sondern dessen Ausdruck.  Wie auch vor 25 Jahren herrscht keine Übereinkunft, wie und ob Bosnien bestehen soll. Dayton hat diese Unterschiede dürftig zusammengeflickt, nicht jedoch die Strukturen geschaffen, die auf der Zustimmung aller beruhen. Der Status Quo ist eher ein negativer Konsens. Jede Alternative ist für die Vertreter zumindest einer Nation weniger attraktiv als der jetzt-Zustand.

Enttäuschte Hoffnung EU

Vor einem Jahrzehnt war die Hoffnung, dass die EU und der Beitrittsprozess Bosnien funktionieren lassen würde. Immerhin teilen die Bürger und die politischen Eliten (diese zumindest rhetorisch) dieses Ziel. Heute jedoch ist die EU bosnischer als Bosnien europäisch. Weder konnte die EU Perspektive Eliten dazu bewegen, von ihrem ethnischen Null-Summen-Spiel abzurücken, noch ist der Beitrittsprozess in Anbetracht der Krisen der EU zurzeit glaubwürdig.

Somit dümpelt Bosnien vor den Toren der EU planlos vor sich hin. Die politischen Eliten leben gut von Status quo: In den Medien ist die Rede vom bösen Nationalismus der Anderen, der Krieg ist immer wieder präsent und zugleich geht es Politikern dabei prächtig. Mit dem Staat als wichtigsten Arbeitgeber sind die Parteien quasi Jobagenturen. Die Rede von nationalen Interessen sind meist Fassaden, hinter denen sich Parteien Macht und Einfluss absichern. Stimmen werden gekauft, entweder durch Jobversprechen, durch Druck oder für Kleingeld.

Somit wächst die Frustration der Bevölkerung, die Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen lag knapp über 50 Prozent und die Massenproteste vor drei Jahren haben die Unzufriedenheit sichtbar gemacht. Doch Wandel ist schwierig: Es gibt nicht einen Diktator zu Stürzen oder einen korrupten Politiker abzuwählen, sondern ein ganzen System, das alle politische Konflikte in nationale Spannungen ummünzt.

Nun, da die EU mit ihren filigranen Ansätzen in der Krise ist und mit Trump und Co. einfache Lösungen zu komplexen Problemen hoch im Kurs stehen, ist wieder die Rede von simplen Auswegen: So schlug ein Artikel in der angesehenen amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs vor, auf dem Balkan neue Grenzen zu ziehen und Bosnien zwischen den Nachbarstaaten aufzuteilen. Solche Allmachtphantasien von neuen Grenzziehungen gab es bereits während des Bosnien-Krieges. Doch mit solchen Mitteln lässt sich das Problem Bosnien nicht lösen. Die Folge wäre nicht nur die Belohnung jener, die vor 25 Jahren mit Mord und Vertreibung Territorien unter den Nagel gerissen haben, sondern auch eine neue Welle von Gewalt.  Somit wird Bosnien ein kompliziert Staat bleiben müssen, doch wird ein „new deal“ brauchen, der jedoch nicht auf neuen Grenzen, sondern neuen Eliten beruht. Mehr als zwanzig Jahre internationale Intervention zeigen, dass ein solcher Wandel  von ihnen kommen muss. Die EU und anderen Staaten können bestenfalls dabei helfen.

 

Der König von Montenegro

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Am 16. Oktober gelang es dem Langzeitherrscher Milo Djukanović seine neunte (!) Parlamentswahl zu gewinnen. Seit 25 Jahren ist er nun an der Macht, 16 Jahre als Ministerpräsident, fünf als Präsident und fast vier Jahre als graue Eminenz und Anführer der dominanten Regierungspartei. Auch wenn seine Partei, die Demokratische Partei der Sozialistischen (DPS), nur 36 von insgesamt 81 Sitzen gewann, scheint ihr der Machterhalt mit Unterstützung von Minderheitenparteien sicher.

Als Milo Djukanovic im Februar 1991 an die Macht kam, gab es Jugoslawien noch. Als sich Slowenien und Kroatien wenige Monate  später unabhängig erklärten, blieb Montenegro Serbien treu und beteiligte sich mit am Krieg in Kroatien. Djukanović, damalst 29, war einer der Gruppe von montenegrinischen Kommunisten, die kurz Zuvor die Parteiführung übernommen haben und auf einen Pro-Milošević Kurs getrimmt haben. Seine einstigen Mitstreiter, bekannt als die „junge, schönen und schlauen“, haben die vielen erfolgreichen Wenden Djukanović nicht überstanden. Momir Bulatović, Präsident Montenegros von 1990 bis 1998, blieb auf der Strecke, als es sich 1997 ganz Slobodan Milošević verschrieb, während Djukanović auf eine Annäherung an den Westen setzte. Sein anderer Bündnispartner aus den frühen Tagen, Svetozar Marović, blieb ihm loyal zur Seite und war für zwei Jahre Präsident des losen Staatenbundes von Serbien und Montenegro vor der montenegrinischen Unabhängigkeitserklärung. Er landete jedoch im Gefängnis wegen Korruption und Amtsmissbrauch bei Bauvorhaben in seiner Heimatgemeinde Budva an der Adriaküste. Djukanović jedoch überstand sowohl sein Bündnis mit Milošević, als auch seinen Bruch mit ihm. Er überlebte den Kosovo Krieg 1999, als die NATO auch Armeeziele in Montenegro bombardierte, während die jugoslawische Armee versuchte ihn zu entmachten. Er überlebte seine Entscheidung Montenegro in die Unabhängigkeit zu führen und nun auch NATO Mitgliedschaft. Das Land wurde im Mai 2016 zum Beitritt in die Allianz eingeladen, trotz großem Widerstand innerhalb Montenegros.

Wie schafft Djukanović es diese Wenden zu überstehen und wiedergewählt zu werden? Zum Vergleich: Im Nachbarland Serbien gab es in der gleichen Zeit 11 verschiedene Ministerpräsidenten und auch Österreich schafft es auf sechs Kanzler seit 1991.

Zunächst ist Djukanović zweifelslos ein geschickter Politiker, dem es glingt die Zeichen der Zeit zu erkennen. Er erkannt, 1997, das Miloševićs Zeit abgelaufen war und sein serbischen Nationalismus nicht zukunftsträchtig war. Später setzte er sich für die Unabhängigkeit ein, nachdem er sah, dass ihm ein unabhängiges Montenegro mehr Gestaltungsraum geben würde und er damit auch die Opposition zwischen Gegnern und Befürwortern der Eigenständigkeit spalten und damit ungefährlich machen würde. Nach 2006 hat er dann den Staat aufgebaut, eindeutig auf westlicher Orientierung, mit Ziel NATO und EU Mitgliedschaft. Er trug auch umstrittene Entscheidungen mit, wie die Anerkennung des Kosovo 2008 oder Sanktionen gegen Russland. Als zuverlässiger Partner des „Westens“ konnte er stets auf Unterstützung hoffen, auch auf Nachsicht wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Lande auf der Strecke bleiben.

Er hatte das Glück (dem er auch etwas nachgeholfen hat), eine gespalteten Opposition zu haben. Seit Jahren leidet die Opposition an einem Spaltpilz: Bei den Wahlen vergangenen Sonntag traten 32 Parteien an und 14 werden im Parlament vertreten sein. Der ständige Misserfolg bei Wahlen, freundlicher Druck durch die Regierungspartei und ideologische Gräben führen zu dieser Situation mit einem Riesen und vielen Zwergen. Einige Parteien huldigen großserbische Position, wünschen sich enge Beziehungen mit Russland und haben Djukanović nie verziehen, dass er mit Milošević brach und den Staat mit Serbien aufgab. Andere wollen einen demokratische Strukturwandel, jenseits der potemkinschen Reform Dörfer von Djukanović.  Mit dieser Kombination scheitert die Opposition immer wieder. Gerade die kleinen Parteien der albanischen, bosniakischen und kroatischen Minderheiten unterstützen immer wieder Djukanović, teils aus direkten Vorteilen für die Parteien, teils aus Angst vor den serbisch-nationalistischen Positionen Teilen der Opposition.

Zuletzt ist Staat, Partei und Djukanović längst eins, unter dem Motto, L’état c’est moi. Djukanović und seine Familie sind längst über dubiose Geschäfte reich geworden und durch die regierenden DPS ist die Kontrolle im Staat absolut. Auch wenn die Regierung mittlerweile nicht mehr Untermieter der Regierungspartei  ist, ist die Macht der Partei ungebrochen.  Als Nachfolger der jugoslawischen Kommunisten herrscht sie ununterbrochen seit 1945. Dabei verschwimmen Staats- und Parteiinteresse. Die öffentliche Verwaltung ist in Parteihand und von Beamte wird erwartet auch für die Partei zu stimmen. Mit Druck und Versprechen werden viele dazu gedrängt für die Regierungspartei zu stimmen, mit knapp über 600,000 Einwohnern kennt jeder jeden und somit ist es leicht Regierungsgegner dazu zu bewegen nicht wählen zu gehen und andere zur Wahl mit Geschenke zu motivieren. Bei den Wahlen am Sonntag stellten NGOs duzende Unregelmäßigkeiten fest, Viber und WhatsApp, zwei beliebte Apps für Chats wurden am Wahltag zeitweise abgestellt. Warum ist bis jetzt nicht klar. Die Verhaftung von 20 serbischen „Terroristen“, unter Leitung des ehemaligen Chefs der serbischen Elitepolizeinheit Bratislav Dikić am Wahltag warf viele Fragen auf, ob die Opposition versucht haben soll eine Machtübernahme mit Gewalt oder Unruhe anzuzettlen versucht zu haben, oder ob das Regime sich als Schützer vor Anarchie darstellen wollte und die Opposition als dunkle Kräfte des Chaos.

Die Hintergründe werden wir wahrscheinlich erst dann herausfinden, wenn die Machtpyramide in Montenegro fällt. Doch noch sieht es so aus, als würde Djukanović noch vier Jahr an der Macht bleiben.